Blog #1: Stimme vs. Wort

In vielen Kulturen gilt die Intonation – also der Melodieverlauf während eines Wortes – als kriegsentscheidend. Ich sage das so polemisch, weil es tatsächlich passieren kann, dass eine bestimmte Abfolge von Buchstaben in wechselnder Aussprache von neutral zu höchst beleidigend kippen kann.
Im europäischen Sprachraum kennen wir Aussagen, Fragen, Ausrufe und maximal Ironie, wenn es hochkommt noch Sarkasmus – dann hat sich das auch schon mit der emotionalen Ladung eines Wortes.

Aber wir kennen auch die Momente, in denen die beste Freundin einem mitteilt, dass es ihr wirklich blendend geht und wir derartige Probleme haben, ihr das zu glauben, dass wir nach ein bis zwei Sekunden nochmal mit einem vorsichtigen: „Wirklich? Du klingst so xyz“ nachhaken.

Das sind die Momente, wo unser Nervensystem seine Nähe zum Kehlkopf bewiesen hat und die Freundin entweder Stimmtraining machen oder mit der Wahrheit rausrücken sollte.

Unsere Stimme ist ein Tal für abenteuerlustige Entdecker, sobald wir uns erstmal an sie heranwagen.

Durch mein Lateinstudium bin ich nicht die Bibel treueste Leserin, da die Altphilologen in meinem Studium gerne mit dem Satz prahlten: „Luther konnte kein Latein und in Altgriechisch war es bei ihm auch wackelig“, aber dennoch ließ mich nie der Satz aus Johannes 1:1 los:

ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος, καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν Θεόν, καὶ Θεός ἦν ὁ λόγος.

Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei (dem) Gott, und das Wort war ein Gott.

Johannes 1:1 (spätes 1. Jh.n.Chr.)

Ich werde hier keine Bibelexegese betreiben, aber mich fasziniert der Anfang dieses kulturformenden und zunächst mystischen Textes. Aber was, wenn wir λόγος als „Ordnung“ oder „Kommunikation“ übersetzten und dadurch nur mal die Überbewertung des Wortes als angeblich wichtigstes Kommunikationsmittel hintanstellten. Sicherlich gibt es zig Exegesen zu dieser Bibelstelle und ich schäme mich jetzt schon lauthals, diesem Text überhaupt so nahe gekommen zu sein. Aber…

 

Mir geht es um die Überbewertung des Wortes innerhalb unserer westlichen, (ja! kulturell christlich) geprägten Gesellschaft.

“***Atempause***”

Ich hatte letztens eine Schülerin, die meinte, ihre Stimme klinge immer so traurig. Nun, ich hatte kein pädagogisches Bedürfnis ihr Gegenteiliges zu sagen, stattdessen lobte ich ihr gutes Gehör. Aber ich sagte ihr, dass die Stimme direkt mit unserem Gefühlsleben verbunden ist und fragte sie, ob sie sich traurig fühle. Sie meinte, nein. Im Verlauf des Unterrichts stellte sich heraus, dass es ihr generell schwerfiel, Emotionen freien Lauf zu lassen insbesondere Trauer. Ironischer Weise wählte sie einen Song, der eben dies von ihre abverlangte: „Ich lass los“, sang sie. „Tust du das?“, fragte ich frech. „Ich geb‘ mein Bestes“, sagte sie scheu. Ich erwiderte „Vielleicht solltest du damit mal aufhören“ und sie lachte. Die nächsten Male zitterte ihre Stimme und begann bald zu fliegen.

Um miteinander in gesunde Kommunikation zu kommen, müssen uns nicht nur die Worte sondern auch die Wort-Träger – die Töne – bewusst werden.  „Der Ton macht die Musik“, sagt man so gerne, wenn Dinge einem zu harsch ausgesprochen erscheinen. Uns mangelt es nicht an fehlenden Wörtern, sondern am gesunden Kontakt zur Intonation.

Selbst wenn jemand etwas harsch ausspricht, könnte man dennoch in der Lage sein zu hören, an Wen oder vor allem Was die Schärfe gerichtet ist oder ob es sich dabei um Frust über sich selber handelt. Unsere Ohren gehören zu unserem Sprech-Trakt und sind beim Sprechen ebenso aktiv wie unser Kehlkopf selber. Dementsprechend sensibel (re-)agiert auch dieses und ich möchte jeglichen Themen rund um das Ohr in den folgenden Blog-Einträgen ebenso Gehör schenken.

Weitere Themen werden sein: körperliche Gesundheit und Stimme; Psyche und Stimme; jegliches Gerede und Gesinge um Kommunikation.

Falls du noch Ideen für Themen hast, teile sie mir gerne gerne mit – ich freue mich auf den Austausch!

Diesen Blog mit einer Kritik am Wort zu starten, ist ein mutiger Start, aber soll auch die Menschen abholen, die dem Raum und Klang von Stimme bisher nur innerhalb eines Wortes Bedeutung schenkten.

 

Be brave. Stay complex!

Deine Julianna

  

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