Profunda Blog #2

Kann jeder singen? - Falsche Frage! Aber was die Frage hinter ihrer offensichtlichen Schwäche verbirgt, ist die Provokation, die mich als Befragte aus ihrer innewohnenden Limitierung zum Ausbrechen anstiftet.

Es gibt sicherlich Kontexte, wo diese Art Fragen den Alltag erleichtern. Doch offensichtlich ist dies keine alltägliche Frage. Grundsatzfragen durch Ja-Nein-Kästchen zu quetschen, ist aber ein herrlich reißerischer Einstieg, doch wo geht’s weiter?

Limitierung. Ok.

Da wir schon bei engen Kästchen sind: Sogar meine musikalische Erziehung war auf gewisse Weise sehr begrenzt, insbesondere in der Praxis. Da gab es diese müden Noten-Hefte in muffigem Grau-blau manchmal in gesundem Uringelb mit einem hübschen grasgrünen Rahmen – Editionen mit bunten Bildern waren nur noch halb so wertvoll und dadurch günstiger im Preis. So prägen Musikverlage den Farbgeschmack junger, klassischer Musiker (sicherlich sind auch ein Grund für deren leidenden Kleidungsstil). Die Noten sind festgetackert auf den Linien, ein zwei Sternchen in Hundertseiten ermöglichen einen Blick durch die die Gitterstäbe der Vorgabe hinaus in die Gestaltungsfreiheit. Nun – meist muss selbst diese Freiheit auch geübt werden und am liebsten spielen Klassiker dann noch die festgeschriebenen Freiheiten musikalischer Ahnen nach, damit sie mit ihren ganz persönlichen (Gestaltungs-)Freiheiten bloß kein Risiko im von Bildungsbürgern gut bewachten im Hoch-Sicherheitstrakt namens „Musik-Tradition“ eingehen.

Wer diese Welt als Praktizierende/-r kennt, weiß um die Ausmaße dieser freiwilligen Ansammlung an Zwangsneurotikern.

Oder sie/er wird nun denken: Entschuldigung, aber ein bisschen Achtung vor den Regeln und der Tradition sollte doch wohl gewahrt werden.

 

Demut ist ein schönes Wort. In meinem Mund liegt es manchmal sehr religiös und gebuckelt. Gerne würde ich es aus dieser Enge herausholen. Mit meinem Studium der alten Philologie bin ich dem Thema „Überlieferung“ und Tradition im wortwörtlichen Sinne durchaus verbunden. Doch zugegeben habe ich stets mehr Spaß daran gehabt, Robert Musil auf meine Weise ins Lateinische zu verklausulieren, als die Millionste Übersetzung von Ovids Heroides (wer kennts?) zu erarbeiten.

 

Meine Demut vor großen Werken der Kunst, der Sprache und besonders der Musik war immer sehr groß. Meine Studienfachwahl war äußerst intuitiv, was viele Male zu der Frage an mich selbst führte, wieso ich dort überhaupt drinsaß. Man lernt und lernt und lernt und kaut sehr alte, sehr häufig schon vor hunderten von Jahren gekautes Zeug wieder und doch extrahiert man etwas für sich. Das ist das Schöne an Worten, denn mit Nahrung funktioniert das so nicht – glaub ich. Nun, ich will nicht abschweifen.

Wenn Menschen mich fragen, was ich studiert habe, sage ich immer: sehr alte weis(s)e Männer. Und doch steckt in dieser Kunstform wenig Lebendiges – mit Ausnahme des Wiederkauprozesses, der auch sehr schön sein kann!

Demut kann zur Ehrfurcht geschürt werden und diese wiederum zu Angst:

Bis ich mich getraut habe, selbst ein Streichquartett zu schreiben und es sogar einem guten Freund (Profigeiger auf höchstem Niveau) zu zeigen, hat Ewigkeiten gedauert. Und meine Demut gegenüber der Kompositionskunst ist sogar gestiegen.

Wenn Demut uns in unserer Lebendigkeit hindert, ist es falsche Demut. Demut darf die kreative Dienstwilligkeit an der Sache nicht einschränken. Gesunde Demut ist mit Dankbarkeit verbunden. Dankbarkeit können wir durch viele Mittel zum Ausdruck bringen und genau das ist uns nicht vorgeschrieben.

 

Doch die bisherige fehlende Bewegungsfreiheit im Musikmachen ist nicht nur auf dem Mist der klassischen Musiktradition, sondern auch auf der Reproduzier- und elektronischen Produzierbarkeit von Musik gewachsen. Sänger werden bei Studio-Aufnahmen ins Unerkenntliche verschönt. Dies erinnert mich häufig an die Schönheitsoperationen der heutigen Zeit.

Und sobald man einmal dem Teufel der Fehlerfindung sein „Go“ gegeben hat, wird es

 

Sobald wird die JA-NEIN-Frage in Bezug auf kreativen Selbstausdruck stellen, sind wir eigentlich nicht mehr demütig. Kurz vor meinem Abitur stellte ich mir die Frage: „Kann ich auf der Bühne stehen? Kann ich x kann ich y?“

Lieber hätte ich mir die Frage stellen sollen: „Wo und wie möchte ich (m)einen Beitrag leisten?“

Vielleicht ist diese „Kann ich das?“-Frage sogar eine faule Frage, weil die Option zur Ausrede etwas nicht zutun schon viel zu viel Platz bekommt (50% ist immer zu viel).

 

Hätte mich jemand damals nach meinem Abitur gefragt, Wo und Wie möchtest du einen Beitrag in dieser Welt leisten, hätte ich sicherlich zuerst die Bühne genannt.

Die demütigere Frage, die dem Wortursprung von Demut (dienstwilliges Gemüt) näherkäme, wäre: „WIE kann ich beitragen?“ Doch die damalige Frage, ob ich das kann, hat mir zu große Angst vor dem „NEIN“ gemacht. Also hab‘ ich mich eingeschneckt und gesagt, ich bin nicht begabt genug. Eng war es.

Gesunde Demut bedeutet, unseren Beitrag ohne Furcht zu leisten, aus Respekt, aber auch mit lebendiger Freiheit. Kreative Demut sollte nicht zu Ehrfurcht führen, die lähmt, sondern zu Dankbarkeit, die inspiriert.

 

Und nun sind wir schon bei dem heutzutage schrecklich missverstandenen Wort „Begabung“. Das arme Ding! Viele Schüler kommen in meinen Unterricht und wollen von mir hören, ob sie denn begabt wären. Ich erwidere dann meist: „Bisher vielleicht nicht. Das hängt davon ab, wieviel du hineingibst.“

Mir fällt es durchaus schwer auf den Punkt zu kommen, denn diese Schnüre, die ich hier aufgreife, sollen schon alle am Ende zu einem schönen Zopf verflochten werden.

Die klassische Musik wurde irgendwann, vielleicht im 19. Jahrhundert, zutrauen würde ich es ihm, zwangsneurotisch. Konservieren, tradiieren, historisch praktizieren, einbalsamieren. Ist ja alles schön und gut, aber Leute! ihr macht den Kindern Angst mit diesen künstlerischen Mumien!

Und dann geht mit dieser nekrophilen Musikbewegung auch noch ein Elitarismus einher, der der Musik noch viele andere schlimme -ismen und -mus’se verpasst.

Bitte gebt dem Mensch die Musik zurück! Es gibt doch keinen Grund, einem Kind/Menschen zu sagen, er könne nicht singen.

Ja, ein Mensch kann sich dem Thema nicht hingezogen fühlen, aber der Rest ist doch bloße Praxis.

 

Stay simple. Be brave!

 

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Blog #1: Stimme vs. Wort